Der Schmerz ist eines der nervigsten Symptome vom Lipödem. Meistens taucht er dann auf, wenn du es am wenigsten gebrauchen kannst: Wenn der nächste Lymph-Termin erst in 10 Tagen ist, wenn du gerade beruflich unterwegs bist oder wenn es dir sowieso schon mies geht. Hier erfährst du, was du selbst tun kannst, um deine Schmerzen zu lindern – und wie lange es dauert, bis du erste Erfolge spüren kannst.
Damit du dir selbst helfen kannst, musst du ein paar grundlegende Dinge über das Lipödem wissen(, die dir dein Arzt vielleicht gar nicht erklärt hat.) Darum hier in aller Kürze die wichtigsten Informationen für dich:
(Diese Infos stammen übrigens aus den ganz neuen Leitlinien für das Lipödem von 2024 – ich bemühe mich immer die Informationen auf dem medizinisch neusten Stand zu halten!)[1]
Was ist ein Lipödem?
Beim Lipödem hast du mehr Fettzellen als andere Menschen. Sie sind häufig vor allem an den Oberschenkeln, können sich aber auch an den Unterschenkeln oder den Oberarmen wiederfinden. Die Fettverteilung ist symmetrisch, d.h. das linke Bein hat einen ähnlichen Umfang wie das rechte. Auffällig für ein Lipödem ist, dass die Beine (und/oder Arme) überproportional mehr Fett haben, als der Rumpf oder das Gesicht. Auch Finger und Füße sind normal, manchmal sogar zart.
Aber es kann natürlich sein, dass die betroffene Person ein Lipödem UND reguläres Übergewicht (Adipositas) hat. Häufig erleben Patientinnen mit dieser Doppelbelastung noch zusätzliche Probleme, weil die Ärzte nur das Übergewicht beachten und das vorhandene Lipödem übersehen oder herunter spielen.
Woher das Lipödem kommt
Die Ursache ist immer noch nicht 100%ig geklärt. Da das Lipödem praktisch nur Frauen betrifft, gibt es momentan zwei mögliche Theorien:
- Die Gene sollen beteiligt sein
- Der Hormonhaushalt könnte Schuld sein (Das schauen wir uns in Tipp 5 an)
Das Lipödem gilt übrigens mittlerweile NICHT mehr als eine voranschreitende Krankheit. D.h. es muss sich über die Jahre nicht verschlimmern. Bekannt sind aber zwei Faktoren, die das Lipödem häufig schlimmer machen: eine deutliche Gewichtszunahme und eine Veränderung im Hormonhaushalt. [2]
Welche Symptome beim Lipödem möglich sind
- Das Hauptsymptom vom Lipödem ist der Schmerz. Er kann in unterschiedlichen Formen auftreten:
- Berührungsschmerz
- Druckschmerz
- Spannungsgefühl
- Schweregefühl
- Spontanschmerz
- Die disproportional Fettgewebeverteilung an Beinen (und/ oder Armen) kann mehr oder weniger deutlich ausfallen.
- Zusätzlich gibt es noch Symptome, die auftreten können (oder subjektiv empfunden werden können). Sie sind für die Diagnose aber nicht notwendig:
Warum tut ein Lipödem weh?
Vorweg: Jedes Lipödem tut (mindestens zeitweise) weh. Das ist ganz unabhängig vom Stadium oder Typ des Lipödems.
Die Schmerzen können aber ganz verschiedene Ursachen haben:
- Gewebeschmerz
Durch die Volumenzunahme im Fettgewebe, können die Nerven eingeengt werden, sodass es sich anfühlt, als ob das Fettgewebe an sich schmerzt. Schon leichte Berührungen können unangenehm sein. Zusätzlicher Lymphstau kann das sogar noch verschlimmern. - Gelenkschmerz
Diese „sekundären“ Schmerzen kommen durch die Achsenfehlstellung im Kniegelenk, die bei Lipödempatientinnen besonders häufig vorkommen. [6]
Viele Frauen mit Lipödem sind zudem hypermobil, das heißt zu beweglich und damit instabil. Auch dadurch kann es zu Gelenkschmerzen kommen. [7]
- Hautschmerz
Durch das vermehrte Fettgewebe reiben beim Gehen oft die Oberschenkelinnenseiten aneinander. Dies kann zu Hautirritationen und Schmerzen führen.[8]
6 Tipps, wie du selbst die Schmerzen bei einem Lipödem lindern kannst
1. Achte auf den glykämischen Index der Lebensmittel
[9]Wie schnell kann’s helfen? – In einer Studie sank der Schmerz auf einer Skala von 1-10 um 2,3 Punkte innerhalb von 7 Wochen [10]
In der Studie aßen die Lipödempatientinnen kohlenhydratarm (Ketogene Ernährung = Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index).
Obwohl sie nicht kalorienreduziert aßen, nahmen die Frauen im Durchschnitt fast 5kg in 7 Wochen ab. Als sie im Anschluss aufhörten kohlenhydratarm zu essen, kamen die Schmerzen wieder zurück, obwohl das niedrige Gewicht gehalten wurde. Daraus schließen die Autorinnen der Studie, dass die Ernährung an sich (mit wenig Kohlenhydraten) die Schmerzminderung brachte und nicht das reduzierte Gewicht der Probandinnen.
In einer weiteren Studie reduzierten sich Schweregefühl und Spannungsschmerz schon nach wenigen Tagen ketogener Ernährung. Bei den 92 Lipödempatientinnen nahm der Schmerz am Ende im Durchschnitt um fast 70% ab. [11]
2. Lasse entzündungsfördernde Lebensmittel weg
Wie schnell kann’s helfen? – In einem Fallbericht von 5 Patientinnen verbesserten sich ihre Lipödem-bedingten Symptome nach nur einem Monat um 35-78%[12]
Auch hierbei handelt es sich im Grunde genommen um eine ketogene Ernährung. Sie wurde in dem genannte Fallbericht noch um antientzündliche Nahrungsergänzungsmittel erweitert.
Aber wenn du es erst einmal simpel halten möchtest, dann lass Zucker und sehr kohlenhydratreiche Lebensmittel, wie z.B. Getreide und gesüßte Getränke weg.[13]
3. Mach (den richtigen) Ausdauersport
Wie schnell kann’s helfen? – In einer Pilotstudie konnten 3 Probandinnen durch 45Minuten Aquacycling pro Woche eine Schmerzreduktion und eine Verbesserung der Lebensqualität erreichen. [14]
Aquacycling ist natürlich vorteilhaft, weil die Gelenke geschont werden und der Wasserdruck für eine natürliche Kompression der Beine sorgt. Deshalb eignen sich auch alle anderen Fitnessangebote im Wasser sehr gut. An Land sollte der Sport immer mit Kompressionskleidung durchgeführt werden![15][16]
Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass Sport antidepressiv[17]und ebenfalls antiinflammatorisch – also entzündungshemmend – wirken kann.[18] Es wäre also vorteilhaft, eine Ernährungsumstellung wie oben vorgeschlagen mit etwas Sport zu kombinieren.
4. Mach Kraftsport
Wie schnell kann’s helfen? – In einer Studie reduzierten sich die lipödembedingten Schmerzen nach 12 Wochen Beinmuskeltraining.[19]
Die Probandinnen machten 2-3 Mal pro Woche 10 Kraftübungen für die Beine. In einer weiteren Studie wurde die Schwelle, bei der punktueller Druck auf die Haut weh tut, untersucht. Durch 2 Mal wöchentliches Training konnte diese Schwelle signifikant angehoben werden. Gewöhnliches Beintraining brachte nach 12 Wochen Erfolge. Beintraining auf einer Vibrationsplatte bereits nach 6 Wochen.[20]
5. Tu was für deinen Hormonhaushalt
Wie schnell kann’s helfen? – Der Hormonhaushalt ist ein Langzeitprojekt. Gerade bei Lipödempatientinnen sollte keine Hau-Ruck-Hormontherapie durch Gels oder Tabletten angewandt werden.
Hier kann die Naturheilkunde und Homöopathie mit ihren sanften Mitteln helfen. Dabei werden keine Hormonähnlichen Substanzen verabreicht, sondern versucht, den Körper dazu zu bringen, dass der Hormonhaushalt sich von selber wieder reguliert.
Die Regulation des Hormonhaushaltes ist eine komplexe Angelegenheit, weil hier die Ernährung (Insulinausschüttung), die Sexualhormone (Östrogen, Progesteron usw.)[21], Schilddrüsenhormone[22] und auch der Stress (Cortisolaussüttung)[23] zusammen spielen.
6. Arbeite an deinem Mindset[24]
Wie schnell kann’s helfen? – sobald du dir klar machst, dass du nicht in einer ausweglosen Situation bist, sollte es dir schon besser gehen 🙂
Das Lipödem MUSS NICHT immer schlimmer werden. Wenn dir dein Arzt gesagt hat: „Sie haben ein Lipödem, da kann man nichts tun.“ Dann stimmt das nicht. [25] Du.kannst.deine.Situation.selbst.beeinflussen. [26] [27]
Eine der wichtigsten Aktualisierungen in den Lipödem-Leitlinien ist, dass das Lipödem keine fortschreitende Erkrankung ist. Die Patientinnen können Einfluss darauf nehmen und ihre Situation nicht nur halten, sondern auch deutlich verbessern![28]
Diese Fehler solltest du bei einem schmerzenden Lipödem nicht machen
Nur auf Ruhe setzen
Klar, wenn dir alles weh tut, hast du keine Lust, dich zu bewegen. Aber gerade dann würde es deinem Körper besonders gut tun, ein wenig in Bewegung zu kommen. Du musst nicht raus gehen und du musst auch keine Mega-Sporteinheit daraus machen:
- Fenster auf, damit frische Luft rein kommt
- Yoga-Matte ausrollen
- 10 Minuten leichte Übungen machen
- Stolz sein, dass du ins Tun gekommen bist 🙂
Alles oder nichts tun
Gestern lief Schei*e, weil bei der Arbeit Kuchen ausgegeben wurde, du abends dein Training hast sausen lassen und stattdessen mit Popcorn und Cola im Kino warst? Das ist in Ordnung. Solche Tage darfst du ohne schlechtes Gewissen genießen. Aber heute geht es weiter im Programm! Wenn du 6 Tage in der Woche deinen gesunden Lebensstil durchziehst, und an einem Tag mal aus der Reihe tanzt, dann tut das deinem Körper immer noch 100 Mal besser, als wenn du komplett drauf pfeifst und nur ungesund lebst.
[1] https://register.awmf.org/assets/guidelines/037-012l_S2k_Lipoedem_2024-01_01.pdf
[2] „Entgegen der früheren Betrachtungsweise ist das Lipödem nicht grundsätzlich progredient. […] Bei weitgehender Gewichtsstabilität ist das Lipödem nicht grundsätzlich progredient, sondern kann über viele Jahre oder dauerhaft stabil sein. Allerdings gibt es individuelle TriggerFaktoren, die zu einer Progredienz des Lipödems führen können, neben einer Gewichtszunahme z. B. auch hormonelle Einflüsse (z. B. Klimakterium). Dies betrifft sowohl die Ausprägung von Fettgewebezunahme und Disproportion als auch Schmerzsymptomatik und psychologische Begleitfaktoren.“ https://register.awmf.org/assets/guidelines/037-012l_S2k_Lipoedem_2024-01_01.pdf
[3] Das in der Vergangenheit häufig verwendete Kriterium des „knotigen“ Fettgewebes soll wegen fehlender Validität nicht zur Diagnosestellung herangezogen werden.
[4] Eine besondere Rolle in der Beschwerdeschilderung spielt die subjektive Wahrnehmung eines Anschwellens in den betroffenen Extremitäten im Laufe des Tages. In einer vergleichenden Untersuchung an symptomatischen Lipödempatientinnen und Gesunden konnte eine im Tagesverlauf wahrgenommene Schwellung nicht objektiviert werden, so dass die Autoren schlussfolgerten, dass das Gefühl der Umfangszunahme als Bestandteil des Schmerzerlebens interpretiert werden muss (Erbacher et al. 2022).
[5] Über eine Hämatomneigung wird häufig berichtet (Forner-Cordero et al. 2021), sie kann aber aufgrund der Studienlage nicht als entscheidendes diagnostisches Kriterium herangezogen werden (Herpertz 1995; Sucker et al. 2021; Szolnoky et al. 2017; Szolnoky et al. 2008). Die von Lipödempatientinnen häufig berichtete Hämatomneigung ließ sich in einer vergleichenden klinischen Untersuchung von Erbacher et al. nicht objektivieren (Erbacher et al. 2023).
[6] Im Falle einer besonders stark ausgeprägten disproportionalen Unterhautfettgewebevermehrung an den Extremitäten können als Komplikationen statische Veränderungen wie eine Achsenfehlstellung der Kniegelenke (Genua valga) […] hinzutreten.
[7] Van Esch-Smeenge et al. (2017) stellten in diesem Zusammenhang bereits im Jahr 2013 fest, dass die Kraft des M. quadriceps femoris bei Lipödem-Patientinnen (n = 22) reduziert ist. Hodson and Eaton (2013) wiesen zusätzlich in ihrer Studie auf ein Misalignment der Hüftgelenke und oder der Kniegelenke bei Lipödem-Syndrom Patienten hin. Nach Aussage der Autorinnen steht das Misalignment in direktem Zusammenhang mit einer Hypermobilität des Gewebes, welche durch eine geringe Anzahl an elastischen- also auch rückstellenden Fasern- mit verursacht werde. Das Misalignment wirkt sich in der Folge auf ein verändertes Gangbild aus, welches wiederum zu orthopädischen Schädigungen primär des Hüft- und des Kniegelenkes führen kann (Volkan-Yazici et al. 2021).
[8] Im Falle einer besonders stark ausgeprägten disproportionalen Unterhautfettgewebevermehrung an den Extremitäten können als Komplikationen […] Hautaffektionen (intertriginöse Mazeration, Hautirritationen durch Haut-auf-Haut-Reibung) hinzutreten.
[9] Hohe Insulinspiegel fördern die Lipogenese, verstärken die Retention von Natrium und Wasser und wirken proinflammatorisch (Blüher et al. 2005; Feinman et al. 2015; Shoelson et al. 2007). Deshalb ist sowohl zur Reduktion von Übergewicht als auch zur Bekämpfung von inflammatorischen Prozessen eine Ernährung sinnvoll, bei der Blutzucker- und Insulinspitzen vermieden und ausreichende Pausen zwischen den Mahlzeiten eingehalten werden (Amato 2020).
[10] . Sørlie et al. führten eine Pilotstudie zum Effekt einer normokalorischen KD auf Schmerz und Lebensqualität mit übergewichtigen Lipödempatientinnen (BMI 30 -45 KG/ m2 durch (Sørlie et al. 2022). Die Patientinnen erhielten über 7 Wochen eine ketogene, normokalorische Ernährung, im Anschluss daran eine sechswöchige Ernährung gemäß den Nordic Nutrition Recommendations (NNR). Schmerz (VAS) und QoL (Norwegian Questionnaire for Lymphedema of the Limbs), Gewicht und Körperzusammensetzung wurden zu Beginn, nach 7 und 13 Wochen gemessen. Die Patientinnen nahmen bis Woche 7 trotz des fehlenden Kaloriendefizits 4,6 ± 0.7 kg ab (p < 0,001), zum Teil aufgrund der Abnahme des Körperwassers (Total Body Water, TBW). Die Schmerzintensität (VAS) verbesserte sich um 2.3 ±0.4 cm (p = 0.020). Die Schmerzreduktion korrelierte nicht mit dem Gewichtsverlust in Woche sieben, der bis zur Woche 13 erhalten blieb, während das Schmerzniveau in Woche 13 wieder bis auf das Ausgangsniveau anstieg, so dass die Autorinnen bestätigt sahen, dass die Schmerzreduktion nicht durch den Gewichtsverlust, sondern durch die KD verursacht wird. Unklar bleibt, ob hierfür die Ketone, vor allem das Beta-Hydroxybutyrat, selbst oder die veränderte Zusammensetzung der Makro- und Mikronährstoffe ursächlich sind. Es wurde eine signifikante Verbesserung der allgemeinen QoL zwischen Baseline und Woche 7 (1.0 (95% CI (2.0, 0.001)), p = 0.050) und 13 (1.0 95 % CI (2.0, 0.001) p = 0.050) gefunden. Die Autoren postulieren, dass eine ketogene Ernährung bei Lipödempatientinnen mit einer Reduktion des Schmerzempfindens und einer verbesserten QoL assoziiert ist und fordern größere randomisierte Studien zur Bestätigung dieser Ergebnisse.
[11] Faerber berichtete mehrfach über die Effektivität einer solchen ketogenen Ernährung auf Beinvolumina, Gewicht und Schmerzreduktion (Faerber 2017a; Faerber 2017b; Faerber 2018). In einer retrospektiven Studie an 92 Lipödempatientinnen nahmen die Beschwerden auf einer NRS von 6,5 ± 3 auf 2 ±2 ab (- 69,23%, p<0,01), und zwar unabhängig vom Gewichtsverlust bzw. auch bei normalgewichtigen Patientinnen. Alle gemessenen Umfänge waren hochsignifikant reduziert (zwischen 9,64 % am Unterschenkel und 12,83 % am proximalen Oberschenkel; p >< 0,001; Effektstärke -0,93 bis –1,27). Sowohl die subjektive Reduktion des Schwere- und Spannungsgefühls als auch die mitunter von den behandelnden Physiotherapeuten festgestellten Veränderungen des Gewebes setzten schon nach wenigen Tagen und lange vor relevanten Gewichtsverlusten ein.
[12] Verschiedene Autoren empfehlen aufgrund der Hypothese, dass nicht nur bei der Adipositas sondern auch beim Lipödem die chronische stille Entzündung pathophysiologisch eine Rolle spielt und pro und antiinflammatorische Faktoren die Symptome beeinflussen können, sich auch bei der Ernährung auf die Bekämpfung der Inflammation zu fokussieren, indem den Patientinnen das Bewusstsein für proinflammatorische Trigger vermittelt und eine antiinflammatorische und / oder ketogene Ernährung empfohlen wird (Amato 2020; Amato and Benitti 2021; Cannataro et al. 2019; Cannataro and Cione 2020; Di Renzo et al. 2021; Faerber 2017a; Faerber 2017b; Faerber 2018). Die Autoren empfehlen darüber hinaus die spiegeladaptierte Supplementierung antiinflammatorischer Mikronährstoffe wie Vitamin D, Omega 3 Fettsäuren EPA und DHA (Amato and Benitti 2021; Calder 2017; Cannataro and Cione 2020; Carracedo et al. 2019). In einem Fallbericht wird über fünf konservativ behandelte Lipödempatientinnen im Stadium I-IV berichtet (Amato and Benitti 2021). Alle erhielten neben verschiedenen physiotherapeutischen Maßnahmen eine nicht näher beschriebene antiinflammatorische Ernährung, ergänzt durch Antioxidantien, eine Patientin im Anschluss daran eine ketogene Diät. Die Verbesserung der Symptome wurde mit dem Lipedema Symptom Assessment Questionnaire (QuASiL) erfasst und betrug zwischen knapp 35 und 78 %, zum Teil bereits nach einem Monat, die Volumenreduktion in Abhängigkeit vom Stadium zwischen 1.230 mL und über 10.000 mL Die Autoren postulieren in ihren Schlussfolgerungen, dass die nichtchirurgische Behandlung des Lipödems in Form eines interdisziplinären, patientenzentrierten Vorgehens unter Einbeziehung der verschiedenen Fach- und Berufsgruppen erfolgreich sein kann.
[13] positive Effekte in Bezug auf die Wechselwirkungen zwischen metabolischen und hormonellen Veränderungen, namentlich zwischen Östradiol und Insulin, und schlussfolgern, dass die ketogene Ernährung als vielversprechende Therapieform beim Lipödem weiter erforscht werden soll. In einer weiteren Übersichtsarbeit stellten die Autoren die Hypothese auf, dass eine ketogene Ernährung beim Lipödem deshalb effektiver ist als andere Ernährungsformen, weil sie aufgrund des vollständigen Fehlens proinflammatorisch wirkender Blutzuckerspitzen die Inflammation wirksamer bekämpft bzw. vermeidet (Cannataro and Cione 2020)
[14] Kronimus et al. (2020) publizierten in einer Pilotstudie die Ergebnisse dreier Einzelfälle (n = 3). Es konnte eine Schmerzreduktion und eine Verbesserung der Lebensqualität (SF-36) im Rahmen einer zehnwöchigen Aquacycling- Therapie festgestellt werden. Die Patientinnen nahmen einmal wöchentlich an einer 45minütigen Intervention teil. Der Schweregrad des Lipödems wurde nicht näher dargestellt.
[15] Da Bewegung in Kompression bzw. ein Trainingsprogramm ein wichtiges Element in der Schmerzreduktion darstellt, soll sie in das therapeutische Gesamtkonzept einbezogen werden.
[16] Primäre Zielrichtung der Kompressionstherapie beim Lipödem ist die Reduktion von Schmerz und anderen subjektiven Symptomen. Zum Lipödem liegen keine prospektiven, vergleichenden und randomisierten Studien zur Entzündungs- und Schmerzreduktion unter Kompression vor. Paling et al. konnten aber in ihrer Umfrage zeigen, dass die Beschwerden in Abhängigkeit von der Anwendungshäufigkeit unter Kompressionstherapie abnahmen (Paling et al. 2020). In einer aktuellen randomisierten prospektiven Pilotstudie wurden 6 Patientinnen mit Lipödem in eine Gruppe mit einem reinen Bewegungsprogramm und eine Gruppe mit Bewegungsprogramm und Kompressionstherapie (KKl 2, flach gestrickt) randomisiert und über 6 Wochen nachuntersucht (Czerwińska et al. 2023). Im Vergleich zur Gruppe ohne Kompression konnte in der Kompressionsgruppe eine signifikante Reduktion des Palpationsschmerzes und der Hämatomneigung beobachtet werden. Außerdem fand sich ebenfalls eine Tendenz dafür, dass bei Bewegung in Kompression die Beinumfänge entweder gleichbleiben oder abnahmen, während sie ohne Kompression eher zunahmen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kompressionstherapie in Kombination mit Bewegung die Lebensqualität verbessern und die Beschwerden reduzieren könnte.
[17] Auf eine signifikante Verbesserung einer vorliegenden Depression durch körperliche Aktivität wurde in mehreren Studien hingewiesen (Blumenthal et al. 2007; Brosse et al. 2002; Cooney et al. 2013; Dunn et al. 2005; Kvam et al. 2016; Schuch et al. 2016). In einen Review von Eriksson and Gard (2011) wurde körperliche Aktivität als effizient hinsichtlich der Minderung depressiver Verstimmungen angesehen (siehe auch Kapitel 8).
[18] Des weiteren wies Krüger (2017) in einem Review nach, dass Bewegung Inflammationen (MCP-1;TLR 1; TLR 2; TLR4, IL- 10, Il-1RA) im Fettgewebe senkt. Laut dem Autor werden in der Folge auch systemisch Entzündungsvorgänge reduziert.
[19] Eine Schmerzreduktion über ein Beinmuskeltraining nach 12 Wochen wurde von Schwarze (2012) erzielt. Das Beinmuskeltraining inkludierte zehn Übungen (aerobes Training / Krafttraining), welche 2-3-mal / Woche über einen Zeitraum von 12 Wochen durchgeführt wurden.
[20] Zur Anhebung der Druckschmerzschwelle (Dolorimeter-Messung), wurde von Schwarze (2012) der Einsatz einer Vibrationsplatte (Galileo) bei insgesamt n = 38 Patientinnen als signifikant positiv nach einer sechswöchigen Intervention herausgearbeitet (Zunahme der Druckschmerzschwelle von 0,70 kg/cm²). In der zweiarmigen RCT (Gruppe 1 Galileo n = 21 / Gruppe 2 Beintraining n = 17) über den Zeitraum von insgesamt 12 Wochen, erhielten die Teilnehmenden 2-mal / Woche (je 45 Minuten) entweder ein Beintraining auf der Vibrationsplatte für sechs Wochen in der Klinik und dann sechs Wochen ein heimbasiertes Beintraining oder in Gruppe 2 ein solides Beintraining für sechs Wochen in der Klinik und dann sechs Wochen ein heimbasiertes Beintraining. Auch die Beintrainingsgruppe (Gruppe 2) erzielte, allerdings erst nach 12 Wochen eine signifikante Anhebung der Druckschmerzschwelle.
[21] In einem Review sehen Katzer et al. (2021) zwei Möglichkeiten für eine gesteigerte östrogenbhängige Lipogenese beim Lipödem: eine veränderte Verteilung der Östrogenrezeptoren der Adipozyten (ERα /ERß Ratio) mit daraus resultierenden metabolischen Signalen und/oder eine gesteigerte Produktion von Enzymen für die Steroidbildung durch die Adipozyten mit der Folge einer erhöhten parakrinen Freisetzung von Östrogen. Diese Veränderungen könnten zu einer Steigerung der Aktivierung von peroxisome-proliferator-activated receptor (PPAR), der Aufnahme von freien Fettsäuren und Glukose in die Adipozyten und der Angiogenese führen und gleichzeitig die Lipolyse, Mitochondriogenese und mitochondriale Funktion reduzieren. Zusammengenommen könnten diese metabolischen Veränderungen zu vermehrter Adipogenese und damit zur Zunahme des Fettgewebes führen.
[22] Die Prävalenz der Hypothyreose liegt bei Lipödempatientinnen mit einem Anteil von über 30 % bis über 40-% im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung (2 %) deutlich höher (Bauer et al. 2019a; Földi 2009). Steroidhormone beeinflussen die Funktion der Schilddrüsenhormone ebenfalls: Östradiol negativ, Progesteron positiv. Der Einfluss der möglicherweise gleichzeitig bestehenden Adipositas bleibt abzuklären
[23] Eine Dysbalance und oder Dysfunktion der Steroidhormone können also bei entsprechender Veranlagung sowohl zu einer gestörten Fettverteilung als auch zu einer gesteigerten oder reduzierten Schmerzwahrnehmung beitragen (Bano et al. 2010; Michelini et al. 2020; Xu and Lopez 2018). Hierzu kann auch ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel durch chronischen Stress beitragen, da Cortisol, das selbst die Schmerzschwelle senkt (Choi et al. 2012), bei gesteigertem Bedarf aus Progesteron gebildet wird und so dessen antagonistische, stress- und schmerzreduzierende Wirkung weiter reduziert wird.
[24] Der aktuelle Forschungsstand zum Einfluss psychologischer Faktoren auf das Schmerzerleben und das Chronifizierungsrisiko ist sehr konsistent.
[25] Gerade bei diesen Faktoren spielen die der Patientin vermittelten Informationen über die Krankheit eine große Rolle (Dudek et al. 2016; Erbacher and Bertsch 2020). Folgen von Fehlinformation können nicht nur eine Zunahme katastrophisierender Gedanken und Angst (z. B. Angst vor Progredienz der Erkrankung) (Bertsch and Erbacher 2018a), sondern auch eine Störung des Arzt-Patientinnen-Verhältnis (Mendoza 2020) sein.
[26] Aktuelle Selbstmanagement-Ansätze gehen davon aus, dass das Vermitteln von Problemlösestrategien im Umgang mit der Erkrankung und die Erhöhung der Selbstwirksamkeit (das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Herausforderungen durch eigenes Handeln bewältigen zu können) zentral sind, um langfristige klinisch relevante Verbesserungen zu erreichen (Bodenheimer et al. 2002).
[27] Die Befürchtung vieler Lipödempatientinnen, aufgrund ihrer Erkrankung einer stetigen Gewichtszunahme ausgeliefert zu sein, führt einerseits zu zahlreichen frustranen Diätversuchen und zu einer hohen Inzidenz von Essstörungen (Erbacher and Bertsch 2020; Stutz 2013), andererseits zu Fatalismus in Bezug auf Körperform, Gewicht und Adipositas. Die frühe Aufklärung über das Krankheitsbild und die Bedeutung eines gesunden Lebensstils bereits bei Diagnosestellung sind deshalb von entscheidender Bedeutung. Mit individuell angepassten Ernährungs- und Trainingsprogrammen können stabile Krankheitsverläufe ohne gravierende Volumen- und Gewichtszunahme erreicht werden (Forner-Cordero et al. 2021). Der Fokus soll dabei nicht auf der Erreichung eines idealen Körpergewichts, sondern auf Beschwerdereduktion, körperlichem Wohlbefinden und Fitness liegen.
[28] In einem Fallbericht berichten dieselben Autoren über eine adipöse Lipödempatientin, die im Verlauf einer 22-monatigen Ernährungstherapie mit einer hypokalorischen KD (-250 kcal) ihr Gewicht um 41 Kilogramm sowie alle Umfangsmaße und ihre Schmerzen (VAS von 9,2 auf 3, -67,39 %) reduzierte (Cannataro et al. 2021). In Bezug auf die Lebensqualität wiesen alle verwendeten Questionnaires signifikante Verbesserungen auf (RAND36 in allen Domänen, WOMAC -53,33 %, SQS -48,65 %). Die HOMA-IR als Maß für die Insulinresistenz sank von 7,16 auf 2,44.